Als ich begann mich mit der Montessori-Pädagogik zu beschäftigen, gab es einen Punkt bei der Pädagogik, dem ich sehr skeptisch gegenüberstand: dem Erdkinderplan! Als ich im Rahmen eines Vortrages beim NÖ Hilfswerk das erste Mal davon hörte, wurde es mir in etwa so verkauft: „Im Jugendalter sind die Kids mehr mit sich selbst und den Veränderungen ihrer Körper beschäftigt und sind somit nicht fähig als vollwertiges Mitglied an der Gesellschaft teil zu nehmen. Deshalb sollten sie diese Zeit auf einen Bauernhof verbringen und dort richtig arbeiten. Dabei reifen sie und kommen dann als funktionierende junge Erwachsene zurück.“ Diese Aussage befremdete mich sehr! Auch in Maria Montessoris Büchern fand ich nicht wirklich etwas, das mich von dem System überzeugen konnte. Aber dies war mir relativ egal, meine Kinder waren ja noch recht jung (6 & 1 Jahr), ich wollte damals ja ohnehin „nur“ die Ausbildung für das Kinderhausalter machen und von der Montessori-Pädagogik für dieses Alter war ich ja total begeistert. Die Zeit verging, meine Tochter besuchte eine Montessorischule, ich arbeitete in der Kinderhausgruppe des Montessorihauses Regenbogenwelt, gründete die Montessorischule UW und absolvierte eine Ausbildung für das Schulalter. Ich brauche also nicht betonen, dass ich von der Montessoripädagogik als solches total überzeugt war. Aber noch immer gab es diese Distanz zum Erdkinderplan. Die Tatsache, dass es bis heute in ganz Österreich keine einzige richtige Erdkinderschule gibt, kam mir wie eine Bestätigung meiner Skepsis vor. Vergangen Sommer beschäftigte ich mich dann das erste Mal näher mit dem Konzept und dies aus verschiedensten Gründen: Meine Töchter sind mittlerweile im Teenagealter angekommen (eine ganz, eine fast), unsere Schule wird in Zukunft die Möglichkeit bieten sie bis zur neunten Schulstufe zu besuchen und in der Zeitung las ich einen Bericht, dass im Schuljahr 2016/17 die erste „echte“ Erdkinderschule in Österreich eröffnen wird! Da passte es hervorragend, dass die österreichische Montessorigesellschaft eine Fortbildungsreihe zu dem Thema Jugendalter anbot, welche ich natürlich besuche. Zusätzlich erschien im November auch noch das Buch „Von der Kindheit zur Jugend“ Maria Montessoris, neu. In dieser textkritisch bearbeiteten und kommentierten Ausgabe sind auch einige Texte, die noch nie veröffentlicht wurden, enthalten. Also alles in allen mehr als eine deutliche Aufforderung mich endlich mit dem Jugendalter aus „montessorischer“ Sicht zu beschäftigen! Die ersten Vorträge drehten sich um die kindliche Entwicklung allgemein und die Bedürfnisse der Jugendlichen im speziellen. Als ich dann auch noch das Buch las, begann ich mich immer mehr für das Thema zu erwärmen. Relativ am Anfang las ich, dass Maria Montessori ein Lyzeum welches mit ihrer Methode arbeitete besuchte und für gut befand! Es sei zwar nicht die optimale Lösung, aber eine sehr gut. Na bitte, es muss also doch nicht dieser ominöse Bauernhof sein. Doch je mehr ich las und mit jedem Abendvortrag bei der OMG, begann ich die Idee des Bauernhofes besser zu verstehen. Hatte ich früher den Eindruck (evtl. auch durch die etwas unglückliche Vorstellung des Erdkinderplanes beim ersten Montessori-Vortrag den ich besuchte) es ginge darum die Jugendlichen von der Gesellschaft wegzusperren, da sie nicht dazu passen, ist eigentlich genau das Gegenteil der Fall: Der Bauernhof soll als soziale Schule funktionieren und die Schüler sollen die Möglichkeit bekommen in die Gesellschaft hineinzuwachsen. Und dies geschieht keineswegs durch Isolation am Land, sondern die Interaktion sollte in Vordergrund stehen! Da gibt es erstens die Interaktion der Jugendlichen untereinander. Dadurch, dass die Schüler gemeinsam arbeiten und leben entsteht eine ganz andere soziale Bindung als wenn sie sich nur vormittags sehen. Aber auch mit Erwachsenen muss Interaktion passieren um die Jugendlichen ideal in ihrer Entwicklung zu begleiten. Hier sind (im Gegensatz zu dem was ich früher geglaubt habe) nicht nur die Pädagogen am Hof gemeint. Zu einer richtigen Erdkinderschule gehören neben dem Bauernhof auch ein Geschäft und ein Hotel. Mit den dortigen Kunden und Gästen ergeben sich die notwendigen Kontakte zu verschiedensten Erwachsenen. Ein weiterer Aspekt, den Hotel und Geschäft mit sich bringen ist das Geld. Maria Montessori geht sogar so weit, dass sie Geld als DAS MATERIAL im Jugendalter bezeichnet! Durch die Teilnahme am Wirtschaftsleben kommen die Schüler mit der echten Welt in Kontakt und werden so ein vollwertiges Mitglied der Gesellschaft. Ich könnte natürlich noch einiges zu dem Thema schreiben, aber ich denke man erkennt bereits, dass ich mittlerweile meine skeptische Haltung gegenüber des Erdkinderplanes aufgegeben habe ;) Da ich nun die Hintergründe besser verstehe. ABER trotzdem wird aus der Montessorischule UW nie eine richtige Erdkinderschule werden! Ich könnte es mir leichtmachen und sage wir haben nicht die für einen Erdkinderplan notwendigen Ländereien und Räumlichkeiten. Aber ich bin ehrlich genug um zuzugeben, dass es an mir liegt. Auch wenn ich mittlerweile sehe, welche Möglichkeiten diese Schule des sozialen Lernens bietet, ich bin einfach von einem Internat nicht überzeugt. Nicht als Schulleiterin und schon gar nicht als Mama! Daher ist es die Aufgabe des pädagogischen Teams unsere Schule, einen Weg aus diesem Dilemma zu finden: Kein Bauernhof, kein Geschäft und kein Hotel, aber trotzdem die Elemente der Schule des sozialen Lernens einzubauen. Wie dies gelingen soll? Im Garten gibt es einen Bereich der extra für die Schüler der Sekundarstufe reserviert ist. Hier wird von den Schülern selbst ein Nutzgarten angelegt. Dadurch müssen gewisse Arbeiten regelmäßig erledigt werden und die Schüler lernen dadurch unteranderen Verantwortung.Im gesamten Montessorihaus Regenbogenwelt ist es üblich, dass die Jause für alle (Schüler und Kinderhauskinder) täglich frisch im Haus zubereitet wird. Die Schüler der Sekundarstufe sind für diese Jause zuständig: Sie bekommen zu jeden Monatsersten ein fixes Budget mit dem sie selbstständig für den Einkauf der Lebensmittel für die Jause zuständig sind. Zusätzlich kochen sie einen Tag in der Woche das Mittagessen für das gesamte Haus. Natürlich müssen sie ein Kasseneingangs-/Ausgangsbuch führen und alle Einkäufe dokumentieren. Sie entscheiden auch selbst wo sie die Lebensmittel einkaufen und nehmen so aktiv am Wirtschaftsleben teil. Ergänzt wird das schulische Angebot durch Praktika in diversen Unternehmen, je nach den Neigungen der Schüler. Sehr viele Inhalte des Lehrplanes werden so im praktischen Tun erlernt. Natürlich gibt es auch weiterhin Angebote von Seiten der Pädagogen, welche darauf achten, dass keine Bereiche vernachlässigt werden. Ich denke, dass es so gelingen kann, eine „erdkinderplanähnliche“ Schule zu führen und freue mich auf die neuen Herausforderungen. Lg Jutta
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Oktober 2020
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